Thursday, December 10, 2009

Passauer Regionalbischof der Evangelischen Kirche in Berlin

Martin-Michael Passauer

Regionalbischof  der Evangelischen Kirche in  Berlin 

Vortrag auf der Internationalen Konferenz in Ulan-Bator zum 20.Jahrestag des Beginns der Demokratiebewegung in der Mongolei

Thema: „Die Rolle der Kirchen bei der Revolution in der DDR“

Sehr geehrte Damen und Herren

Am 10.Dezember 1989 fand hier in Ulan Bator die erste nicht genehmigte Demonstration statt mit  Forderungen u.a.  nach einem Mehrparteiensystem und  Pressefreiheit. 20 Jahre ist dieses Ereignis her.  Wenn diese Demonstration die Geburtstunde einer neuen Mongolei war, dann feiern wir mit Ihnen  heute zwanzigjähriges Jubiläum. Dazu bringe ich Ihnen die herzlichsten Grüße und Wünsche aus Deutschland mit. Ich bin stolz und dankbar mit Ihnen diesen Tag feiern zu können. Wir teilen die Freude über die wiedergewonnene Freiheit.

Am 10. Dezember 1989 hat in Deutschland der damalige Außenminister,  Hans-Dietrich Genscher, auf einer Konferenz gesagt:
die Entwicklungen in der DDR seien ein „ur-demokratischer Aufbruch“.
Ur-demokratisch meint  die Selbstbestimmung, die die Menschen in die Hand genommen haben. Sie sind aufgebrochen, ihre Würde wieder zurück bekommen. Sie wollten leben und erfahren, was im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland  im Artikel I Absatz 1 stand und nun im  wiedervereinigten Deutschland für alle gilt : 
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt“
Diese Würde wollten die Menschen in der DDR  zurückgewinnen. Denn in der   Verfassung der DDR, die bis 1989 Gültigkeit hatte, hieß der Artikel 1:
„Die deutsche demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“  Erst im zweiten Artikel heißt es in der Mitte: „ der Mensch steht im Mittelpunkt aller Bemühungen der sozialistischen Gesellschaft und ihres Staates. „

Mit der Wiedervereinigung  geht es  nun auch für die DDR-Bürger  in erster Linie und zu allererst wieder um die Würde des einzelnen Menschen. In der DDR ging es zu allererst um den Staat und die führende Rolle der Partei. Dann erst kam der einzelne  Mensch in den Blick.
Der tiefgreifendste  Unterschied zwischen beiden Deutschen Staaten lag im Menschenbild. Das für das christliche Abendland und vor allem für Westeuropa bestimmende Menschenbild lag in der Anerkennung der Einmaligkeit jedes Menschen. Jeder Mensch hat die Freiheit, sein Leben zu gestalten, jeder Mensch lebt nach seinen individuellen persönlichen Fähigkeiten und Gaben, jeder Mensch hat unabhängig von seiner Hautfarbe, seinem Geschlecht, seiner Religion oder Weltanschauung sein Recht auf Leben. Dieses Menschenbild ist geprägt durch Aussagen in der Bibel. Danach trägt jeder Mensch  göttliche Züge in seinem Gesicht, die ihn  liebenswert machen. Deshalb ist keiner besser oder schlechter als der andere und deshalb hat auch kein Mensch das Recht, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen oder ihm Gewalt anzutun oder ins Gesicht zu schlagen. Er schlägt – nach biblischem Verständnis immer auch Gott ins Gesicht. Und das ist Sünde.
Aus dieser biblischen Grundauffassung ist eine Gemeinschaft von Menschen entstanden, die seit 2000 Jahren versuchen, dieses Menschenbild umzusetzen und danach zu leben. Die Kirche mit den einzelnen Christen, wie diese Gemeinschaft heißt, ist im Laufe der Jahrhunderte eine große und starke Institution geworden. Leider haben Unterschiede in der Lehre zu unterschiedlichen Auffassungen geführt, die in der Vergangenheit  zu drei großen Abspaltungen und damit selbstständigen Kirchen  geführt hat: der Orthodoxen, der Katholischen und der Evangelischen, oder Protestantischen  Kirche.  Alle drei Kirchen verfügen in ihren jeweiligen Ländern, also auch in der DDR,  über viele Besitztümer, wie Kirchen, Kathedralen, Dome, Häuser, Ländereien, Sozialeinrichtungen (wie Kindergärten, Krankenhäusern, Senioreneinrichtungen, Wohnheime für Behinderte und sozial Schwache und gefährdete Menschen.) und Kunstgüter. Die Kirche in der DDR war Arbeitgeber für Tausende von Mitarbeitern . In manchen Teilen Deutschlands ist die Kirche heute der größte Arbeitgeber. Sie bietet stellvertretend für den Staat soziale Leistungen an, die aus Steuermitteln finanziert werden. Die Kirche selber zieht auch Steuern – Kirchensteuern – ein.
Dem Staat  DDR war diese Kirche von Anfang an mit ihrer Selbständigkeit und Kraft eine große Bedrohung. Am liebsten wollte er   diese Kirche abschaffen . Auch deshalb, weil sich die DDR als ein atheistischer Staat verstand. Das heißt, die Ideologie der DDR lehrte, dass es keinen Gott gibt. Folglich braucht es auch keine Kirche, die ihr Fundament in dem Glauben an dreieinigen Gott Vater -Sohn - und Heiliger Geist gründet. So mußte es von Anfang an, seit  der Gründung der DDR,  mit dieser Kirche zu Spannungen und Auseinandersetzungen kommen. Und dies auch deshalb, weil die meisten Menschen in der DDR, wie im Gesamten  Deutschland, Mitglied einer der Kirchen gewesen sind.

Für die Kirchen war seit 1949 –der Gründung der DDR -  klar, dass dieser Staat keine Perspektive haben konnte. Ein Land, das  als oberstes Prinzip beschreibt, dass ihm selber, seiner Ideologie  und seiner Partei zu erst alle Aufmerksamkeit gilt – und dann erst dem einzelnen Menschen, muß, so war die Auffassung der Kirchen, scheitern.   Mein Vater, der auch schon im Hitlerdeutschland  gegen den totalitären Nationalsozialismus gekämpft hatte, lehrte uns Kinder, dass jeder Staat, der Gott leugnet oder für seine Sache instrumentalisiert zum Scheitern verurteilt ist, Deshalb war der Zusammenbruch der atheistischen  DDR ein weiterer  Beweis dafür, dass es Gott gibt. 

Die DDR  tat alles, um Menschen, die der Kirche angehörten und sich auch zu ihrem Glauben bekannten, zu isolieren und diskriminieren. Jugendliche wurden von der erweiterten Schulbildung ausgeschlossen, Christen bekamen keine Leitungsposten, wer bei der Polizei, der Armee, im Staatsapparat oder in der Bildung arbeitete, durfte in der Regel nicht Mitglied der Kirche sein.  In den Medien kam die Kirche so gut wie nicht vor. Sie galt nach marxistischem Verständnis als eine Übergangserscheinung. Je mehr der Sozialismus in den Köpfen und Herzen der Menschen siegen und seinen Platz einnehmen wird, umso geringer wird der Einfluß und die Bedeutung der Kirche sein. Deshalb braucht man sie nicht mit gewaltsamen Mitteln zu verbieten. Ein wenig nachhelfen muss man schon und dann ist die Kirche verschwunden. 
Weil der Staat  vom Ende der Kirche  fest überzeugt war, konnte man ihr auch in der Übergangszeit eine gewisse Eigenständigkeit  gewähren. Auch wegen des internationalen Ansehens, um das die DDR bemüht war, durfte man mit der Kirche öffentlich nicht gewaltsam umgehen. So hatte die Kirche eine Eigenständigkeit, die in der sonst total durchorganisierten Gesellschaft einmalig war.

Das machte die Kirche, besonders zum Ende der DDR, für viele interessant. Der einzelne Mensch, der dann,  wenn er nicht zur DDR, zum Sozialismus und zur Partei ein eindeutiges Bekenntnis abgelegt hatte, wenig galt,  geriet immer mehr in die gewaltsamen Fänge des Machtapparates. Was sollte er tun? Fliehen konnte er nicht, ins Gefängnis wollte er nicht und die DDR liebte er auch nicht, Auch deshalb nicht, weil der Anspruch und die Wirklichkeit so weit auseinander klafften. Was in der Zeitung stand und in den Medien verbreitet wurde, stimmte mit der alltäglichen Wirklichkeit nicht überein. Lüge und Unwahrhaftigkeit standen auf der Tagesordnung, Unrecht und Gewalttätigkeiten staatlicher Organe gegenüber  wehrlosen einzelnen Menschen standen auf der Tagesordnung.  Also suchte  der auf diese Weise Ausgegrenzte oder Diskriminierte  gleichgesinnte Menschen, die ähnlich dachten. Und er suchte Orte, an denen er mit anderen zusammenkommen konnte, ohne  dass die staatliche Macht gleich eingriff. Die Kirche war dafür geeignet.    Und die Kirche bot:

-                     Räume , die sie reichlich hatte.
Der ur-demokratische Aufbruch brauchte Orte, wo   Menschen frei reden und sich austauschen konnten. Sie waren für die Revolution von unschätzbarem Wert. Diese Räume der Kirchen  mit ihren dicken Mauern, hohen Türmen, vielen Eingängen und Kellern waren es, die Menschen Schutz boten und den Zugriffen der Polizei entzogen. Es war wie ein Asyl in der Kirche.

-                     Stimme, die ihr Handwerkzeug war
Viele Menschen waren nicht mehr gewohnt, frei und offen und öffentlich zu reden.  So brauchten sie Menschen, die ihnen halfen, ihre Stimme wieder zu finden. Aber auch Menschen, die  für sie öffentlich die Stimme erhoben und Unrecht beim Namen nannten. Die DDR fürchtete nichts so sehr wie die öffentliche Stimme. In der Kirche wurde gelernt, seine Stimme wieder zu finden. Die Kirche selber hat ihre Stimme erhoben und das Unrecht beim Namen genannt . Sie hat aber auch den Sprachlosen ihre Sprache geliehen, damit sie wieder sprechen lernen. (Manchmal waren die Machthaber erbost, nur weil wir einen Text lasen, den sie als Angriff verstanden –obwohl er schon 400 Jahre alt war)

-                     Rituale, die das Leben wertschätzen
Die Kirche lebte durch die großen Kirchenräume, die sie hatte und die Tausenden von Menschen Platz boten, Rituale, die dem Lebens- Rhythmus Bedeutung gaben. Diese Rituale begleiten den Lebenslauf des Menschen von der Geburt über das Erwachsenwerden, die Familiengründungen aber auch Sterbebegleitung und Beisetzung nach dem Tod. Dafür gab und  gibt es festgelegte Riten, die vielfältig in Anspruch genommen werden. Aber auch im Alltag haben und hatten diese Rituale Bedeutung,  wie z.B. Stille, Singen, Beten, Orgelmusik- hören und Bibelauslegungen. In den Kirchen kamen Menschen zur Ruhe. Sie wurden gestärkt, bevor sie sich der Gefahr auf der Strasse aussetzten. Unsere Vorfahren haben vor Hunderten von Jahren in jedes Dorf eine Kirche gebaut und in die Städte eine Vielzahl von Kirchen. Sie sollten immer größer, schöner, reichhaltiger und eindrucksvoller sein, als jedes Haus und jeder Palast. In den Tagen der Revolution haben wir gespürt, wie wichtig sakrale Räume für die Seele der Menschen sind.

-                     Inhalte, die Orientierung boten
Das Menschenbild der Bibel ist auf Frieden ausgerichtet. Folglich ging von den Kirchen der eindringliche Ruf aus: „keine Gewalt“. Gewalt von den Mächtigen darf nicht mit Gewalt von den Demonstrierenden erwidert werden – so lautete der Lernsatz für jedermann.  Dass die Revolution friedlich blieb, verdankt sie diesem biblischen Menschenbild, das in der Kirche gelehrt und gelebt  wurde.

-                     Tradition, die als Gedächtniskultur den Übergang schaffte
Die Kirche praktizierte auf Grund ihres Menschenbildes demokratische Lebensregeln. Jeder Mensch soll mit seinem Anliegen gehört werden, jeder kann mitreden, jeder kann  mitgestalten und jeder kann  auch mitleiten, wenn er gewählt wird.   Alle Mitarbeiter der Kirche waren in der Demokratie geschult. So konnten gerade diese Mitarbeiter   nach dem Zusammenbruch der DDR mithelfen, demokratische Regeln aufzubauen und alle mit einbeziehen.
Dass es nach dem Zusammenbruch der DDR  keine Lynchjustiz gegeben hat, keine Racheakte an den Herrschenden, keine Gewalttätigkeiten verdankt sie der Demokratieerfahrenheit der Kirchen. Die ersten Politiker nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in der DDR kamen fast alle aus der Kirche. (Ich selber habe eine Untersuchungskommission geleitet, in der sich Täter und Opfer gegenüber saßen. Die Spannungen waren zum Zerreißen, aber jeder konnte frei reden und seine Meinung sagen. Dass hat eine neue Form von Gesprächskultur geschaffen , die ein leben auch mit Fehlern ermöglichte. Denn all die vielen Täter leben ja bis heute zum teil noch mitten unter uns. ) 

-                     Autoritäten, die Vertrauen schafften 
Durch die Unabhängigkeit, die sich die Kirche in all den Jahren der DDR  versucht hatte zu bewahren, waren  Vertrauenspersonen in der Kirche entstanden, die auch öffentlich  von fast allen akzeptiert wurden. Sie halfen in kritischen Situationen, im persönlichen Leben aber auch auf der Strasse, als die Staatsmacht angesichts der Menschenmassen nicht mehr weiter wußte. Sie waren Vermittler und Mahner, Wegweiser und Gestalter einer neuen Gesprächskultur. (Manchmal wurden diese Autoritäten nachts aus dem Bett geholt, um zu helfen)

              -              Kontakte, die die Welt in die DDR holten  
Die Kirche hatte viele Kontakte untereinander in der DDR und  in alle Welt. Die allermeisten Kontakte gab es  aber in den anderen Teil Deutschlands. Nicht nur Familien sondern auch Freundschaften waren feste Verbindungen, die trotz Trennung zusammenhielten.   So waren die Christen immer gut informiert und nicht alleine der offiziellen DDR-Information ausgeliefert. Dieses interne Informationsnetz war von keiner Staatssicherheit zu kontrollieren. Für eine Diktatur sind die internen unkontrollierbaren Informationsströme zwischen den Menschen die größte Gefährdung.

-                     Medien als Waffe gegen die Unrecht und Geheimhaltung
Die Kirche hatte zwar auch eigene Medien. Sie waren aber nur wenigen zugänglich. Sie unterhielt aber sehr gute Kontakte zu Pressevertretern aus anderen Ländern und der Bundesrepublik. So konnte sie diese Medien  über Ereignisse informieren, die die DDR gerne geheimgehalten hätte.  Nichts fürchtet eine Diktatur mehr als eine unabhängige Presse. Sie hat geholfen, offen und öffentlich der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen.  So habe auch ich erst nach der Revolution erst  richtig verstanden, wie  die Freiheit besonders auch durch die  Pressefreiheit gefüllt wird. 


In der Bibel gibt es eine Geschichte, die erzählt, dass der Erlöser der Welt in einem Stall in aller Armut geboren wurde. Außer den eigenen Eltern waren nur noch die Tiere im Stall Zeugen der Geburt. Es waren Schafe, Esel und Ochsen.
Erich Honecker, langjähriger Staatsratsvorsitzender der DDR, war bis zum Ende der DDR fest davon überzeugt, dass es die DDR und den Sozialismus  noch lange geben wird. So dichtete er in einer Rede:
„Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf„ 
„Ochse“ und „Esel“ sind im Deutschen Schimpfwörter. Die Christen und die Kirche waren nach Meinung der Parteigenossen solche Ochsen und Esel. Es gehört zu den erstaunlichen Weisheiten der Geschichte, die der Christ auch  Gottesbeweise nennt, dass gerade   diese Ochsen und Esel den ur-demokratischen Aufbruch organisieren und in unserem Fall sogar  den Sozialismus aufgehalten haben.

Ich danke Ihnen.     
 

  

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